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Mindener Tageblatt, Ursula Koch

"Wir sind alle Othello", sagt Jan Maak zu Beginn und fügt hinzu: "Ich verteile gleich die Tube mit der schwarzen Farbe." So ist das bei Shakespeare und Partner: Der Zuschauer bleibt nicht passiver Konsument, sondern wird in das Geschehen einbezogen.

Die Figuren bleiben in Zwiesprache mit dem Publikum. Das wird während des Prologs stark betont, rückt im Verlauf ein wenig in den Hintergrund, um am Schluss von Othello wieder aufgenommen zu werden, wenn er sich auf die Balustrade setzt und sich direkt ins Publikum wendet. Wie Othello wandeln sich die meisten Figuren auf der Bühne vor den Augen der Zuschauer. Indem der Soldat seinen Mantel ablegt, roten Lippenstift auflegt und Perücke aufsetzt, wird er zu Desdemona. Wie zu Shakespeares Zeiten werden in der Inszenierung Weckessers alle Rollen von Männern gespielt. Und er dreht es noch einen Schritt weiter, indem ihm sechs Darsteller für alle Rollen reichen. Nur Jan Maak als Othello und Andreas Erfurth als Iago verk&oouml;rpern jeweils einen, allerdings vielschichtigen Charakter.

Mit den Kostümen stellt Susanne Füller den Bezug zur Gegenwart her. Othello trägt Anzughose und Hemd, dazu Militärstiefel und gelegentlich Armeemantel und changiert damit zwischen Militär und Manager. Mit Desdemonas besticktem zarten Kleid über der Jeans betont sie den Widerspruch zwischen weiblichem Charakter und männlichem Darsteller in Person von Urs Stämpfli. Trag&oouml;die als allzeit aktuelles Lehrstück

Das Bühnenbild folgt der Regel: Weniger ist mehr. Eine riesengroße Fahne, goldener L&oouml;we auf rotem Grund, mehr ist es nicht und trotzdem fehlt nichts. Der Zuschauer vermisst nichts, denn das Wenige gibt dem Spiel Raum. Mit Sogwirkung gestalten das - neben den drei Hauptfiguren - auch Sebastian Bischoff (Rodrigo, Emilia, Senator), Moritz Gaa (Cassio, Doge) und Kai Frederic Schrickel (Brabantio, Montano, Bianca, Ludovico) aus. Sie alle kosten die kom&oouml;diantischen Auftritte ihrer Figuren voll aus, etwa wenn Othello Desdemona leidenschaftlich küsst und sie anschließend mit leicht schwarz verschmiertem Mund verlegend kichernd ins Publikum blickt, als hätte sie heimlich genascht.

Aber auch die tragischen Momente, wenn Othello erkennt, dass er Desdemona zu Unrecht der Untreue bezichtigt hat, spielen die Schauspieler aus. Weckesser hält die Aufführung damit die ganze Zeit gekonnt in der Schwebe zwischen Kom&oouml;die und Trag&oouml;die und hält damit die Spannung aufrecht.

Neben Eifersucht geht es hier um Status, Karriere und auch darum, wie sehr alle Gewissheiten auf der Kippe stehen. In einer Zeit, in der Mobbing weit verbreitet ist, bleibt diese Trag&oouml;die ein hochaktuelles Lehrstück. Auch die Sprache des neu übersetzten Stückes bleibt in der Schwebe zwischen artifizieller Hochsprache in Reimen und aktueller Alltagssprache.

Im Laufe der Zeit verliert Othello die Farbe in seinem Gesicht, die sich dafür auf seinem Hemd immer deutlicher abzeichnet. Es geht hier nicht um Hautfarbe, sondern um das Anderssein, das sich im Laufe der Zeit verliert. Dafür nehmen die Flecken auf der weißen Weste zu. Diese Darstellung lässt das Mindener Publikum nicht kalt. Am Ende spendet es stehend Applaus für die Berliner Truppe.