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Timon von Athen

von William Shakespeare
Übersetzung und Bearbeitung: Vera Sturm

mit Norbert Kentrup, Barbara Kratz und Dagmar Papula Regie: Vera Sturm

Regie: Vera Sturm
Bühne und Kostüme: Vincent Callara
Regieassistenz: Claudia Sander
Technik, Licht, Ton: John Burgess, Michael Jagusch

heinrich

Timon von Athen
von William Shakespeare (1564 -1616)
und Lukian von Samosota (120-180 n. Chr.)


Shakespeares Trag&oouml;die von maßloser Menschenliebe und ebenso maßlosem Menschenhass dürfte zwischen 1605 und 1608 entstanden sein, also in der Nähe von K&oouml;nig Lear, Macbeth und den R&oouml;merdramen. Zu Shakespeares Zeiten war die Timon- Fabel allgemein bekannt. Eine von Shakespeares m&oouml;glichen Quellen, das Timon-Stück des griechischen Satirikers Lukian wurde in die Bearbeitung der Übersetzerin und Regisseurin Vera Sturm in die Textfassung eingeflochten. Der G&oouml;tterbote Merkur, den Lucian in seinem Stück hat, wurde für diese Inszenierung ausgeliehen.
Schlegel und Schiller lobten zwar Shakespeares Timon von Athen ob seiner Wahrhaftigkeit und Lebensweisheit, dennoch galt das Werk lange Zeit als unspielbar. SHAKESPEARE und PARTNER zeigt, dass das Stück sehr wohl spielbar ist, wenn man sich nur an die Spielweisen des Globe-Theaters hält, jener wichtigsten Bühne Shakespeares im Elisabethanischen Theater. Dazu geh&oouml;rt vor allem jene bewusste Aufl&oouml;sung der Vierten Wand, Shakespeares unteilbare Szene. Timon von Athen ist ein selten gespielter Shakespeare-Klassiker. Der Kritiker Georg Hensel schrieb: "An die Raritäten wagen sich im allgemeinen nur unternehmungslustige, einfallsreiche Regisseure; sie versprechen, so fragwürdig die Stücke sein m&oouml;gen, besonders interessante Theaterabende."
Das Stück hat starke Themen, bis hin zur Groteske, schwankt zwischen Kom&oouml;die und Trag&oouml;die und ist mit Sicherheit nicht fragwürdig. Über Shakespeares selten auf den deutschen Bühnen zu sehenden Timon ist viel gerätselt worden, letztlich hat man ihn eher in die Nähe des Lear gerückt als in die einer Kom&oouml;die, wo man ihn zwischendurch auch einmal vermutet hat.
Die Regisseurin Vera Sturm klopft in der Spielfassung das Material auf seine Beständigkeit für unsere Zeit ab. Timon, von Norbert Kentrup gespielt, der gute Mensch von Athen, der in jedem Zeitgenossen seinen Freund sieht und Tag für Tag mit vollen Händen ausgibt, was er längst schon nicht mehr hat, wandelt sich urpl&oouml;tzlich zu einem hasserfüllten Menschenverächter, der am Ende als v&oouml;llig resignatives Exemplar seiner Spezies im Museum zu bestaunen ist. Sein System, das auf Pump basiert, bricht zusammen. Als keiner seiner angeblich zahllosen Freunde ihm zu Hilfe kommt, begreift Timon endlich, was ihm sein einzig verbliebener Freund, Apemantus, sein Diener und Philosoph, ihm voraus gesagt hatte.
Die Spielfassung hat aus einem Heer von Nebendarstellern in dem Stück die Figur des Dieners Flavius und Apemantus zusammengefügt. Apamantus, der yon der Schauspielerin Dagmar Papula gespielt wird, wird zum Lebensbegleiter von Timon in guten wie in schlechten Zeiten. Servilität und praktischer Verstand gehen darin einher mit einer unersch&oouml;pflichen Treue, die hier kein leerer Wahn, sondern ureigene Bestimmung ist. Ein trauriger Clown, der mit seinem Partner Timon an Becketts 'Warten auf Godot' erinnert. Die vielen Nebenfiguren werden durch die Interaktion mit dem Publikum ersetzt und der G&oouml;tterbote Merkur, mit seinen ironisch, distanzierten Zügen eines sp&oouml;ttischen Beobachters und Kommentators, treibt die Handlung vorwärts. Merkur, gespielt von Barbara Kratz, bekanntlich als Bote auch der Gott der Kaufleute und Diebe, wirft immer wieder die Würfel des Schicksals neu, indem er in opulenter Weise Timon wieder mit dem magischen Treibmittel Geld ausstattet. Aber auch die Begrenztheit g&oouml;ttlicher M&oouml;glichkeiten st&oouml;ßt bei Timon an eine Grenze.

Polen Gastspiel in Gdansk August 2003
THEATER. Ereignis des 7. Shakespearefestivals
Der radikale Timon


Die deutsche Inszenierung des Timon von Athen ist die wesentliche Stimme Shakespeares in dieser Edition des 7. Shakespearfestivals in Gdansk, die etwas über die Gegenwart sagt.

Die Inszenierung von Vera Sturm ist nicht nur ein Beispiel für intelligente Interpretation des Dramas Shakespeares, sondern auch eine Probe v&oouml;llig professioneller und disziplinierter Schauspielkunst. Diese zeitgen&oouml;ssische aber gleichzeitig freie von billigen Effekten Aufführung spielt sich zwischen gerade drei Schauspielern ab, die die Rollen verschiedener Gestalten des Stücks übernehmen. Doch um die Geschichte des naiven, menschenliebenden, reichen Timon voll und ganz wiederzugeben und zu zeigen, wie er zusammen mit seinem Reichtum die scheinbare "Freundschaft" seiner Umgebung verliert, wurden mehr Schauspieler gebraucht. Denn je gr&oouml;ßer die Menschenmenge, die bei Timons Festen zu Gast ist und ihm seine Freundschaft erklärt, desto dramatischer sieht sein Untergang und Bankrott aus. Gerade deswegen ließen die Sch&oouml;pfer der Aufführung die Rolle von Timons Gästen das Publikum spielen. In das Theater tritt man ein wie auf eine Feier. Der Schauspieler, der Timon spielt (in dieser Rolle der wunderbare Norbert Kentrup), freut sich über die Ankunft immer neuerer Gäste, begrüßt sie herzlich, bietet ihnen Sekt an. Die Zuschauer, zuerst etwas verwirrt und schüchtern, schlüpfen nach und nach in diese sympathische Rolle herein. Sie wissen nicht, daß sie bereits in eine theatralische Falle geraten sind, denn von nun an übernehmen sie die Verantwortung für Timons Schicksal. Sie werden somit auch zu Tätern seiner Erniedrigung. Die Freude des Zuschauers wird übrigens bald zerschmettert. Der ruinierte Timon gibt sein letztes Fest aus - er veranstaltet ein Spektakel voller Zorn und Agression - währenddessen bietet er den Zuschauern Steine an und beschuldigt sie falsch, egoistisch und heuchlerisch zu sein.
Die Art, auf die die Aufführung die Emotionen des Publikums in Gang setzt, ist typisch für das deutsche Theater und seine Interaktion mit dem Publikum, Die Sch&oouml;pfer des Stückes machen den Zuschauer mitverantwortlich für alles, was auf der Bühne geschieht und rauben ihm damit das Sicherheitsgefühl. Auch im zweiten Teil der Aufführung wird die Distanz zwischen Zuschauern und theatralischer Fiktion abgeschafft. Der obdachlose Timon schw&oouml;rt alle Menschen ewig zu hassen und lehnt das Angebot der Rückkehr ins vorherige Leben, das er von Merkur (Barbara Kratz) bekommt, ab. Sehr kennzeichnend für die deutsche Interpretation dieser Szenen ist der Radikalismus. Die Verzweiflung und die Entschlossenheit Timons sind so groß, dass seine Misanthropie nicht als eine Laune erscheint, sondern als eine unabwendbare Geste gegen die Welt. Eine Geste, die die ganze Welt, zusammen mit ihrer Anbetung materieller Güter und scheinbarer Ehrlichkeit, negiert. Die äußerung endet mit einer Szene, die die Künstler selbst dazu geschrieben haben - Timon von Athen wird im Museum für Menschenkunde ausgestellt. Er ist der letzte ehrliche Mensch, der in seiner großen Naivität die falsche Natur der Welt nicht rechtzeitig erkannt hat .Iin den Sälen nebenan wurden als Exponate die Helden anderer Dramen des Stratforders ausgestellt. Es klingt etwas komisch, vor allem in Anbetracht dessen, daß die Aufführung der Deutschen es nicht zulässt, die Werke Shakespeare in musealen Kategorien zu sehen ,in ihrer Interpretation ist "Timon von Athen" kein Freilichtmuseum, sondern eine lebendige, rührende und zweifellos zeitgen&oouml;ssische Geschichte.
Gazeta Wyborcza" Trojmiasto 09.08,2003